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05.05.2021

Angst essen Seele auf oder warum es jetzt dringend eine «Back to Normal-Kampagne» braucht

 

Einer Allegorie gleich, auf Rainer Werner Fassbinders Melodrama «Angst essen Seele auf», aus dem Jahre 1974, wurden über Monate Ängste zementiert, die auf der Annahme fussten, dass wir wohl noch Jahre im Alarmismus zu verharren hätten. In unseren Köpfen wurde dadurch ein Klischee vom ewig bedrohlichen Virus geschaffen, das künftig unser Leben diktiert. Noch vor wenigen Wochen wurde in der Schweiz, aber noch mehr in Deutschland, die Apokalypse zur Realität erklärt, die unweigerlich über uns hereinbrechen werde. Grund hierfür seien die Virus-Mutanten. Man brauche dafür nur nach Brasilien und Indien zu blicken. Es sei keine Frage ob, sondern wann dieses Schreckensszenario uns alle in den ultimativen Super-Lockdown zwingt.

 

Die exakt identischen Apologeten der Apokalypse erklären uns jetzt mit der gleichen Hingabe, dass es nicht nur exponentielles Wachstum als auch exponentiellen Zerfall gebe. Es sei doch klar, dass jetzt mit dem Impfen sich nicht nur weniger Leute mit der tödlichen Krankheit infizierten sondern auch selbst nicht mehr ansteckend seien. Nun geht es im gleichen Tempo runter wie vorher hinauf. Hurra. Alles wird gut. Für den Sommer kann geplant werden. Ab September sind wieder Grossanlässe mit bis zu 10'000 Personen möglich. Die Messe- und Eventbranche darf sich freuen. Wieder hat die Politik eine Branche gerettet. Vielen Dank.

Aber Moment mal. War da nicht noch dieser Nebensatz? Wie lautete der noch? Ach ja, ich erinnere mich. «Wenn es die epidemiologische Lage zulässt.» Oder in anderen Worten. Das Fest für 10'000 Leute findet nur bei schönem Wetter statt. Man muss halt hoffen und beobachten. Im Übrigen gibt es ja noch den Schutzschirm. Irgendwie kann man dann irgendwann die Kosten, zumindest gewisse Kosten, beim Kanton oder Bund oder irgendeiner Amtsstelle geltend machen. So ist der Plan.

 

An dieser Stelle will ich übrigens nicht den Schutzschirm schlecht reden. Schön, dass die Branche sich diese Möglichkeit erkämpft hat, auch wenn sich mir noch nicht erschliesst, wie das alles in der Realität funktionieren wird. Hier fehlt aus meiner Sicht eine Anleitung mit praktischen Vorgehenstipps, basierend auf einem systematischen Prozess. Aber das ist ein anderes Thema.

 

Ich komme zurück auf meinen vielleicht etwas eigenartig anmutenden Titel. «Angst essen Seele auf» zeigt, wie schwierig oder gar unmöglich es ist, ein Klischee zu überwinden. Und genau mit dieser Problematik muss die Branche jetzt zurechtkommen. Messen und Veranstaltungen sind stigmatisiert als Orte der Ansteckung. Noch schlimmer als in der Gastronomie gab es zu keinem Zeitpunkt Lockerungen oder Öffnungsversuche. Kommt das Thema auf Messen und Events, laufen vor dem geistigen Auge Bilder ab, die Massen zeigen, die sich durch enge Gänge zwängen. Denke ich nun an meinen eigenen Event, dann sehe ich Konferenzräume mit grosszügiger Bestuhlung, maximaler Belüftung und eine riesengrosse Halle mit Menschen, die Fachgespräche führen wollen und denen dafür ausreichend Platz in würdevoller Distanz zur Verfügung steht.

 

Das negative Klischee kann die Branche nicht selbst beseitigen. Alles was wir, in unserer Rolle als Nutzniesser dafür tun, wird bewusst oder unbewusst als selbsterfüllende Prophezeiung (self fulfilling prophecy) wahrgenommen. Es braucht eine «Back to Normal-Kampagne» von neutraler Seite. Es reicht nicht aus, die Pandemie als teilbeendet zu bezeichnen und der Messe- und Eventbranche die Daumen zu drücken. Ich für meinen Teil verlange, dass jetzt ebenfalls mit geeigneten Botschaften die Veranstaltungsbranche unterstützt wird. Dass differenziert wird zwischen Volksfesten aus der Vor-Corona-Zeit und unserem verantwortungsvollen Umgang mit der aktuellen Situation. Schon heute gibt es Schutzkonzepte, die Veranstaltungen ermöglichen. Schauen wir drei bis sechs Monate in die Zukunft, wird die alte Normalität immer spürbarer und die Schutzkonzepte können den aktuellen Realitäten Schritt für Schritt angepasst werden, ohne dass die Situation jemals ausser Kontrolle gerät.

 

Zeit ist unser Feind. Für Präsenzveranstaltungen in sechs Monaten müssen die Aussteller jetzt entscheiden. Sie brauchen Vorlaufzeit. Viele Unternehmen haben 2021 veranstaltungstechnisch bereits abgehakt, als wäre die Datumsgrenze am Ende des Jahres der terminierte Wendepunkt. Der Wandel beginnt im Kopf und dieser muss jetzt erfolgen. Wer heute aufgrund der Unsicherheit und dem Status Quo gegen eine Teilnahme für den Herbst entscheidet, wird sich bis dann in einer ganz anderen Realität wiederfinden. Auch wenn er oder sie sich dann ärgert, dass eine gute Gelegenheit zum Kundenmarketing vergeben wurde, ist es für uns Veranstalter keine Genugtuung. Der Kunde ist verloren.

 

Die positiven Botschaften von Bund und Kantonen sind pures Geld wert. Jede Veranstaltung, die nicht verschoben oder abgesagt wird, muss auch nicht vom Steuerzahler finanziert werden.

 

Urs Ingold, StarlingExpo AG, in Sachen Corona-Pandemie.

 

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